ZUKUNFTSGESPRÄCHE

Zukunft im Dialog:
Inspirierende Gespräche und Visionen

Seit dem Sommer 2023 erscheint im Gemeindeboten Wiedemar das Zukunftsgespräch mit Steve Ganzer. Hier spricht der Bürgermeister von Wiedemar mit Experten aus Wirtschaft, Politik und Planung ausführlich zu Themen rund um das geplante Industrievorsorgegebiet Wiedemar. Es geht um Chancen und Herausforderungen, Visionen und Prozesse. Auf dieser Seite finden Sie alle bisher erschienenen Zukunftsgespräche zum Nachlesen. 

Alle Zukunftsgespräche für Sie auf einem Blick:

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


Was würde eine Industrie-Großansiedlung regional-ökonomisch für die Gemeinde Wiedemar bringen? Das hat eine Kurzstudie des Fraunhofer-Zentrums IMW aus Leipzig simuliert. Über die Ergebnisse möchte ich dieser Ausgabe mit einem der Studienautoren sprechen.




Für mein Zukunftsgespräch zur regional-ökonomischen Studie traf ich mich mit Dr. Christian Growitsch. Er war an der Erarbeitung der Studie beteiligt und zum Zeitpunkt des Gesprächs Institutsleiter am Fraunhofer-Zentrum IMW.




  • Herr Dr. Growitsch, Sie haben im Auftrag der Gemeinde Wiedemar an der regional-ökonomischen Kurzstudie zu den Auswirkungen einer industriellen Großansiedlung mitgearbeitet. Was ist eine regional-ökonomische Studie eigentlich genau? 

Christian Growitsch: Mit diesen Studien werden regionale, wirtschaftliche und fiskalische Effekte von größeren Ansiedlungen auf die Ökonomie einer bestimmten Region geschätzt. Damit erhalten Kommunen erste Schätzungen zur regionalen Wertschöpfung, den potenziellen Steuereinnahmen einer Ansiedlung sowie dem Konsumeinfluss der Beschäftigten dieses Werks. Ich möchte an dieser Stelle aber betonen, dass eine regional-ökonomische Studie immer auf beispielhaften Simulationen und historischen Daten beruht. Wir können natürlich nicht exakt vorhersagen, wie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Fabrik sind, die im Jahr 2030 an den Start geht.  


  • Nach welchen Methoden haben Sie die Effekte simuliert? 

Growitsch: Wir haben für die regional-ökonomische Studie das Input-Output-Modell “CEM-IOM” angewendet. Dies ist ein von uns entwickeltes Analyse-Instrument, das eine quantitative, wissenschaftlich fundierte Abschätzung der ökonomischen Effekte von Investitionsprojekten ermöglicht und ein erstes Nachfrageprofil ermittelt. Wie der Name schon andeutet, lassen sich anhand von typischen Vorleistungen eines Werks – also Inputs von Zuliefer- und Dienstleistungsfirmen – und dessen produzierter Einheiten – der Output – erste Effektschätzungen bestimmen. Für unsere Studie zum IVG Wiedemar haben wir ein fiktives Werk für elektrisch angetriebene Automobile mit angeschlossener Batterie- und Antriebsfertigung gewählt und für drei Szenarien entsprechende Effekte durchgespielt. Dabei untersuchen wir in erster Linie die Auswirkungen nach dem Produktionsstart, wobei die Gemeinde auch schon während des Baus mit Gewerbesteuern rechnen kann.


  • Warum haben Sie gerade eine Autofabrik für Elektrofahrzeuge als Basis gewählt? 

Growitsch: Wir wollten eine Branche mit einer gesamtwirtschaftlich hohen Bedeutung nehmen, die einerseits stark mit anderen wichtigen Branchen wie Chemie, IT und Zukunftstechnologien vernetzt ist und andererseits selbst einen langfristigen Wandel durchlebt. Dazu kommt: Es gibt eine umfangreiche Datenbasis, auf die wir zurückgreifen konnten. Für unsere Studie haben wir die durchschnittlichen regionalen Nachfrageprofile von sechs bestehenden Standorten der Automobilindustrie untersucht.


  • Die Elektromobilität erlebt gerade eine gewisse Flaute – lassen sich solche makrowirtschaftlichen Schwankungen in der Simulation berücksichtigen? 

Growitsch: Nein, im Detail lässt sich das nicht berücksichtigen, da wir zum Beispiel Preisentwicklungen durch Inflation/Deflation nicht vorhersagen können. Die Ergebnisse sind aber Durchschnittswerte und wir haben bei der Schätzung der Steuereinnahmen eher niedrige Stückzahlen, Verkaufspreise und Gewinnspannen angesetzt. Generell lässt sich außerdem sagen, dass die Wirtschaft immer sehr sensitiv und nachfrageorientiert ist. Insofern können Sie davon ausgehen, dass Unternehmen ihre Profile und Geschäftsmodelle frühzeitig auf neue Kundenbedarfe und politische Rahmenbedingungen anpassen, um langfristig profitabel zu sein.


  • Lassen Sie uns zu den Ergebnissen kommen. Mit welchen steuerlichen Einnahmen könnte die Gemeinde Wiedemar rechnen, wenn das Industrievorsorgegebiet weiter geplant wird? 

Growitsch: Es gibt verschiedene Steuerarten, die in den Haushalt der Kommunen fließen. Die wichtigsten sind die Gewerbesteuer und die anteilige Einkommenssteuer. Darüber hinaus erhalten Gemeinden auch die Grundsteuer auf Grundstücks- und Gebäudewerte sowie Anteile der Umsatzsteuer. Sobald das neue Werk läuft und die von uns angenommenen Jahresproduktionen erreicht, könnte die Gemeinde Wiedemar – je nach Szenario – mit steuerlichen Brutto-Mehreinnahmen zwischen 56 und 108 Millionen Euro pro Jahr rechnen. Die Gewerbesteuer nimmt hierbei mit Abstand den größten Posten ein, gefolgt von der Grundsteuer. Bereits während der Bauphase erhöht sich das Steueraufkommen für die Gemeinde, wenn auch in einem sehr geringeren Maß.  

 

  • Eine Großansiedlung hätte voraussichtlich auch regionale Auswirkungen auf die Wirtschaft des ganzen Landkreises. Haben Sie dafür auch Prognosen? 

Growitsch: Ja, durch die indirekten Effekte von Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen an das sich neu angesiedelte Unternehmen liefern würden, werden schätzungsweise rund 2.500 neue Arbeitsplätze entstehen. Die induzierten Effekte – also die Auswirkungen aus dem Konsum dieser Zulieferer und deren Mitarbeiter – schaffen nochmals weitere 400 Arbeitsplätze. Insgesamt schätzen wir die regionalen Effekte auf die Wertschöpfung im Landkreis Nordsachsen auf rund 350 Millionen Euro.

 

  • Wiedemar ist bereits jetzt ein Zahler im kommunalen Finanzausgleich, durch den Kommunen des Landkreises mit geringeren Steuereinnahmen unterstützt werden. Würden die Mehreinnahmen durch eine Großansiedlung nicht auch größtenteils abfließen?  

Growitsch: In der Tat dürfte Wiedemar im Fall einer Großansiedlung weiter Finanzausgleichsumlagen leisten. Die genaue Höhe hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann jedes Jahr schwanken. Da wir keine genauen Prognosen abgeben können, sind wir in unserer Studie vom maximalen Umlagesatz in Höhe von 40 Prozent ausgegangen. Nach Abzug der Umlage würden sich die jährlichen Steuereinnahmen auf rund 34 bis 64 Millionen Euro summieren. Was nicht vergessen werden darf: Wiedemar kann im Fall einer Großansiedlung auch mit finanziellen Zuweisungen vom Freistaat Sachsen rechnen, etwa um Mehrbedarfe bei der Kita- und Schul- sowie der Verkehrsinfrastruktur zu decken.

 

Vielen Dank für die aufschlussreiche Kurzstudie und das Gespräch dazu, Herr Dr. Growitsch 



Hier nachzulesen in der Ausgabe 06/2024 des Gemeindebotens vom 18.06.2024.

Der Bürgermeister antwortet 

Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


In unserer Mai-Ausgabe des Zukunftsgesprächs werden die Rollen vertauscht: Nicht ich stelle die Fragen, sondern eine junge Bürgerin unserer Gemeinde interviewt mich. Auf ihrem Interviewzettel standen vor allem Fragen zum Thema Jugend in Wiedemar”. 



Für dieses Zukunftsgespräch habe ich mich mit Susanna Müller getroffen. Sie ist Schülerin, mitten im Abitur und lebt mit ihrer Familie in der Gemeinde Wiedemar. Bei einem unserer Zukunftsstammtische ergriff sie ebenfalls das Wort und sprach über die Zukunft von Wiedemar. Daran möchte ich anknüpfen. 




  • Herr Ganzer, vielen Dank für die Möglichkeit eines Interviews. In den vergangenen Monaten drehte sich in Wiedemar viel um das Industrievorsorgegebiet. Welche Erwartungen könnten wir als junge Generation daran knüpfen? 

Ganzer: Eine Industrieansiedlung in Wiedemar hätte auf jeden Fall das Potenzial, die Arbeitsplätze bei uns in der Region zu belassen. Diese Fläche, die wir versuchen zu entwickeln, zielt unter anderem auf die junge Generation ab, die jetzt hier in die Grundschule geht. Es würden noch einige Jahre ins Land streichen, ehe sich eine Firma an diesem Standort niederlassen kann. Deshalb sprechen wir mit dem IVG die junge Generation an, um künftig Spielplätze, Infrastruktur und Arbeitsplätze im Ausbildungsalter anbieten zu können, die junge Menschen dazu bewegen, bei uns in der Region zu bleiben und nicht abzuwandern. 


  • Gibt es außer dem Industriegebiet noch weitere Ideen und Projekte, wie Wiedemar das gesamte Gemeindegebiet für die Jugend attraktiver machen kann? 

Ganzer: Wiedemar befindet sich derzeit in einem sehr dynamischen Prozess. Wir beschäftigen uns mit der Erstellung eines integrierten Gemeindeentwicklungs-konzeptes. Das soll genau solche Fragen beantworten und die Wünsche und Anregungen berücksichtigen, um Vorbereitungen zu treffen, damit wir -in den nächsten zehn Jahren allen Altersgruppen gerecht werden können. Da ist die Jugend auch gefordert. Tatsächlich ist es schwierig, immer wieder allen Menschen gleichermaßen zu entsprechen – das Haushaltsbudget der Gemeinde ist nur einmal da. Darüber hinaus läuft aktuell auch die Arbeit an einer regional-ökonomischen Studie. Die befindet sich im finalen Entwurf und analysiert die wirtschaftliche Kraft von Wiedemar für den Fall, dass sich hier ein großes Unternehmen ansiedelt. 


  • Sie haben einige künftige Projekte genannt – welche gibt es denn aktuell für uns Jugendlichen? 

Ganzer: Wir haben zum einen ein reges Vereinsleben in der Gemeinde mit über 30 Vereinen. Zum anderen gibt es auch Jugendclubs mit Sozialarbeitern für Jugendliche, wo sie sich für Gesellschaftsspiele oder andere gemeinsame Aktionen durchführen. Schön wäre, wenn wir alternative Angebote für die Jugendlichen anbieten können, wie zum Zocken bspw. Mir ist wichtig, dass der persönliche Kontakt wiederbelebt wird. Es wäre schade, wenn sich alle Jugendlichen in ihren Zimmern verkriechen würden. Darüber hinaus möchten wir auch weitere Angebote schaffen – egal, ob es um eine Skaterbahn oder einen Fahrradparcours geht. Da kann man gern mal im Gemeinderat darüber diskutieren. Ich bin für Ideen offen und freue mich über Anregungen.


  • Aktuell bin ich sehr lange nach Leipzig in meine Schule unterwegs und muss eine Stunde warten, wenn ich einen Bus verpasse. Auch viele andere Jugendliche gehen in die umliegenden Städte zur Schule oder für Freizeitaktivitäten. Wie kann die Gemeinde Wiedemar eine Infrastruktur ermöglichen, um den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern? 

Ganzer: Der ÖPNV ist eine Angelegenheit des Landkreises und der Verkehrsverbünde. Hier geht es um Angebot und Nachfrage. Da schauen die Verbünde anhand der Ticketverkäufe, wo sich eventuell neue Linien lohnen. Es liegt deshalb auch an uns, den ÖPNV mehr in den Fokus zu nehmen und zu stützen. Je mehr Menschen Busse nutzen, umso eher lohnen sich Investitionen. Wir arbeiten hier eng mit dem Landkreis und den Verbünden daran, nochmals andere Wege zu gehen – etwa andere Busse –, damit es für diejenigen, die den ÖPNV nutzen, angenehmer und attraktiver wird. 


  • Etwas daran anknüpfend: Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass jede Ortschaft eine gute Anbindung an Banken, Supermärkte oder medizinische Dienste hat? Bei uns im Dorf hat der Laden vor vielen Jahren zugemacht und für viele Lieferdienste lohnt sich die Fahrt zu uns nicht. 

Ganzer: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist tatsächlich ein Thema in allen Ortsteilen – gerade bei der älteren Bevölkerung. Hier ist es gut, einmal fern weg von den Supermärkten in einem kleineren Rahmen umzudenken. Etwa mit Tag- und Nachtmärkten, wo es zwar kein Personal gibt, man aber trotzdem alle Dinge des täglichen Bedarfs einkaufen kann. Im medizinischen Bereich sind wir als Gemeindeverwaltung bereits an Projekten dran, um entsprechende Dienstleistungen in die Ortsteile zu bringen. Da arbeiten wir an einem Versorgungszentrum, um für alle Menschen einen Anlaufpunkt zu schaffen, an dem sie sich untersuchen lassen können. Beim Thema Banken ist es so: Wir leben in einer Zeit der Digitalisierung, in der vieles über das Handy läuft. Ich denke daher nicht, dass wir noch einen Geldautomaten in die Gemeinde bekommen. Diese Entscheidungen treffen die Dienstleister unter wirtschaftlichen Aspekten. Gleichwohl gilt: Je mehr Menschen in einer Region oder einem Ortsteil leben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort neue Dienstleistungen etablieren, da mehr Kunden und Kaufkraft zur Verfügung stünden.  

 

  • Angenommen, das Industriegebiet sollte beim Bürgerentscheid im September abgelehnt werden. Was passiert dann mit den Planungen zur Attraktivität von Wiedemar? 

Ganzer: Sollte der Bürgerentscheid negativ ausfallen, bleibt in Wiedemar erstmal alles so, wie es ist, bzw. geht es mit kleineren Schritten voran. Worauf wir aber verzichten müssten, wäre ein besonderer Fokus auf unsere Gemeinde und auf unsere wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklungen. Beim Radwege- und Straßenausbau würden wir beispielsweise im Fall eines Industriegebietes in besonderem Maß bei den Planungen des Freistaates Sachsen berücksichtigt. Bei einem negativen Bürgerentscheid könnten diese Maßnahmen entweder sehr spät oder gar nicht umgesetzt werden. 

 

  • Eine abschließende Frage: Wie stellen Sie sich Wiedemar im Jahr 2040 vor? 

Ganzer: Sehr lebhaft. So wie jetzt, aber mit mehr Dienstleistungen, mehr Radwegen und mehr Attraktivität. Schon jetzt haben wir eine unglaublich gute Gemeinschaft mit jungen und älteren Menschen, mit Feuerwehren und Sportvereinen. Wiedemar ist sehr unterschiedlich und geprägt von individuellen Ortsteilen. Das sehe ich auch 2040 noch so – und ich wünsche mir, dass wir das noch mehr unterstützen können. Ich bin überzeugt, dass wir mit Wiedemar eine starke Perspektive haben und noch besser dastehen werden als heute. Eine Frage möchte ich aber doch noch stellen: Was wünschen Sie sich als Einwohnerin s für Wiedemar 2040, Frau Müller?


  • Eine Perspektive mit einer guten Infrastruktur und Arbeitsplätzen. Ich möchte erstmal aus Wiedemar weggehen und im Studium etwas für meine Bildung tun, aber später wieder zurückkommen – weil meine Familie hier lebt, weil meine Freunde hier sind und ich meinen sozialen Kreis hier weiter aufbauen will. Und ich möchte diese Perspektive auch für meinen künftigen Partner und meine Kinder. 

Ganzer: Danke für Ihre Fragen und alles Gute für Ihr anstehendes Abitur. 


Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen und das tolle Gespräch. 



Hier nachzulesen in der 5. Ausgabe des Gemeindebotens vom 30.05.2024.

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


In diesem Zukunftsgespräch geht es um die Verfügbarkeit geeigneter Flächen für neue Ansiedlungen. Sachsen steht dabei in starker Konkurrenz mit anderen deutschen Regionen. Das Industrievorsorgegebiet in Wiedemar nimmt dabei eine besondere Rolle ein.



Ich unterhalte mich nochmals mit Dirk Diedrichs. Im Auftrag des Freistaates Sachsen koordiniert er die Prozesse zur erfolgreichen Umsetzung großer Ansiedlungen – einschließlich der dafür notwendigen Entwicklung der Infrastruktur.




  • Herr Diedrichs, in Ihrer Rolle sorgen Sie dafür, dass es große Unternehmen leichter haben, sich in Sachsen anzusiedeln und die regionale Infrastruktur entsprechend Schritt hält. Was braucht es vor allem dafür?

Dirk Diedrichs: In der Regel bringen große Unternehmen bei ihrer internationalen Standortsuche einen großen Katalog an Vorgaben mit, der erfüllt sein sollte. Intel hatte beispielsweise 100 Kriterien, mit denen das Unternehmen potenzielle Standorte in Europa bewertet hat. Magdeburg konnte hier am besten abschneiden und hat dementsprechend den Zuschlag erhalten. Ein wesentliches Argument für eine Ansiedlung ist das Vorhandensein von erschlossenen, baureifen Flächen in einer bestimmten Größe und Lage. Hier gilt: Je schneller eine Fläche bebaut werden kann und je besser sie an eine gute Verkehrs-, Forschungs- und Bildungsinfrastruktur angebunden ist, desto attraktiver ist sie. Daneben sind natürlich effiziente Prozesse für eine reibungslose Koordinierung aller notwendigen Akteure und Genehmigungen entscheidend.


  • Hat Sachsen noch andere große Flächen?

Diedrichs: Die Nachfrage nach großen Flächen über 150 Hektar übersteigt auf jeden Fall das Angebot. Sachsen ist damit aber nicht allein. Eine Flächenstudie des Forschungsinstituts Prognos stellte im letzten Jahr eine Übersicht zu freien Gewerbe- und Industrieflächen auf. Das Ergebnis ist eindeutig: Es gibt in Deutschland nur rund ein Dutzend Flächen von mindestens 400 Hektar Größe, die für die Ansiedlung überregional bedeutsamer Unternehmen in Frage kämen. Die meisten davon liegen im Nordwesten und Osten Deutschlands, einschließlich der Region Wiedemar. Das heißt: Ja, Sachsen hat einerseits hervorragendes Potenzial, steht andererseits aber auch im Wettbewerb mit Regionen anderer Bundesländer. Deshalb ist es wichtig, dass wir strategisch handeln und künftig besser mit großen, baureifen Flächen punkten können.


  • Welche anderen Regionen im Osten sind ebenfalls im Rennen?

Diedrichs: Unserer Kenntnis nach gibt es in Mecklenburg-Vorpommern und bei Cottbus mehrere Gebiete. Allerdings sind diese alle kleiner als in Wiedemar. Die Gemeinde sticht hier also deutschlandweit heraus – nicht nur wegen der Fläche, sondern auch, weil hier wichtige Verkehrsachsen, aufstrebende Hochtechnologie-Cluster und renommierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorhanden sind. Deshalb hat das Industrievorsorgegebiet auch eine so große Bedeutung für Sachsen und die gesamte mitteldeutsche Region.


  • In meinen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern taucht oft die Frage auf, warum nicht zunächst freie Brachflächen ehemaliger Gewerbe- und Industriebetriebe für Großansiedlungen genutzt werden?

Diedrichs: Die Bürgerinnen und Bürger sprechen damit einen wichtigen Punkt an. Im Rahmen der Brachflächenrevitalisierung sind der Freistaat Sachsen und die sächsischen Kommunen in der Tat seit vielen Jahren an diesem Thema dran. Es gibt verschiedene Förderprogramme, die Unternehmen, Gemeinden und Landkreise dabei unterstützen, brachliegende Industrieflächen zu „recyclen“, also wieder nutzbar zu machen. Erst kürzlich, am 1. Februar 2024, ist eine neue Förderrichtlinie in Kraft getreten. Klar ist: Brachflächen sind zweifelsohne ein wichtiger Baustein für weitere Ansiedlungen. Aber er reicht nicht aus, um eine zusammenhängende Fläche in der Größenordnung bereitzustellen, die für Ansiedlungen aus dem Hochtechnologiebereich notwendig ist. Wir haben dies intensiv geprüft – und das werden wir auch in Zukunft bei jedem Flächenvorhaben so handhaben. Dazu kommt: Die Sanierung bzw. Dekontaminierung der oftmals schadstoffbelasteten Altflächen funktioniert nicht von heute auf morgen. Hier braucht es zusätzliche finanzielle Anstrengungen und mehr zeitlichen Vorlauf, um eine Fläche auf dem Markt zu platzieren.


  • Nicht weit von Wiedemar passiert das übrigens: Das neue Chemie-Großforschungszentrum CTC in Delitzsch entsteht auf der Brachfläche einer ehemaligen Zuckerfabrik.

Diedrichs: Richtig, das CTC in Delitzsch wird in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Impulsgeber für die Kreislaufwirtschaft und Ansiedlungen in der Region sein, von dem auch Wiedemar profitieren kann.


  • Für das geplante Industrievorsorgegebiet Wiedemar soll eine Fläche von rund 400 Hektar in Anspruch genommen werden. Welche konkreten Ausgleichsmaßnahmen würde es geben?

Diedrichs: Ich würde die geplante Fläche in Wiedemar gern in einem größeren Rahmen einordnen: Wir haben in Sachsen knapp 900.000 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche – mit den 409 Hektar für das IVG würde nur ein Bruchteil davon umgewidmet. Das heißt: Sachsen wird auch in Zukunft ein Land mit besten Voraussetzungen für die agrarwirtschaftliche Nutzung bleiben. Unabhängig davon haben wir mit dem Zentralen Flächenmanagement Sachsen (ZFM) einen kompetenten Partner, der als beauftragte Ökoflächenagentur Sachsen die Umsetzung und Unterhaltung der Ausgleichsmaßnahmen gewährleistet. Da das IVG-Vorhaben in die Agrarlandschaft eingreift, ist als Ausgleich ein Maßnahmenkonzept mit extensivem Ackerbau, Ackerbrachen und Blühstreifen sowie Artenschutzprojekten für die Feldlerche und anderen Bodenbrütern vorgesehen. Die Maßnahmen werden als Dienstleistungen durch ortsansässige Landwirtschaftsbetriebe durchgeführt und entlohnt. So bleiben die Maßnahmenflächen als landwirtschaftliche Nutzflächen erhalten und die Wertschöpfung bleibt in der Region. Auch nach dem Satzungsbeschluss können noch geeignete Ausgleichsvorhaben wie die Entsiegelung von Gebäudebrachen oder Anpflanzungen vom ZFM in die Konzeption aufgenommen werden.


Vielen Dank für das Gespräch, Herr Diedrichs.



Hier nachzulesen in der April-Ausgabe des Gemeindebotens vom 19.04.2024.

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


In meinen Bürgergesprächen mit Ihnen zum geplanten Industrievorsorgegebiet Wiedemar beschäftigt Sie ein Thema besonders oft: Fachkräfte. Gäbe es überhaupt genügend Arbeitskräfte für eine Großansiedlung in der Region? Dieser Frage möchte dieses Zukunftsgespräch nachgehen.



Als Gesprächsgast habe ich mich mit Sven Keyselt unterhalten. Als leitender Wirtschaftsförderer von Nordsachsen steht das Thema Fachkräfte auf seiner Agenda weit oben.




  • Herr Keyselt, der Nordraum Leipzig ist als dynamischer Wirtschaftsstandort derzeit viel im Gespräch – und damit auch Nordsachsen. Klingelt Ihr Telefon derzeit öfter als sonst?

Sven Keyselt: Ja, wir können schon sagen, dass uns über unterschiedliche Kanäle eine ganze Reihe von potenziellen Investorenanfragen erreichen – direkt über uns, aber auch über die Wirtschaftsförderung des Freistaates Sachsen.


  • Aus welchen Branchen kommen die meisten Anfragen?

Keyselt: Momentan erleben wir viel Bewegung im Bereich Kreislaufwirtschaft – hier geht es darum, Materialien wiederzuverwenden, neue Werkstoffe und Produktionsprozesse zu entwickeln, um Ressourcen zu sparen. Aber auch im Umfeld des Flughafens und der großen Automobilhersteller gibt es viele Anfragen, vor allem im Bereich der Zulieferindustrie und Speichertechnologien.


  • Ein großes Thema für bestehende, aber auch potenziell neue Unternehmen ist der Fachkräftemangel. Wie sehr betrifft er den Landkreis Nordsachsen?

Keyselt: Unser Landkreis macht da leider keine Ausnahme. Natürlich ist das auch eines der größten Themen unserer Firmen hier. Bei jedem Unternehmensbesuch wird auch über Fachkräfte gesprochen. Wir haben gerade erst im Herbst eine Befragung unter Unternehmen durchgeführt – das Thema Arbeitskräfte steht bei den Herausforderungen ganz weit vorn.


  • Mit Blick auf das geplante Industrievorsorgegebiet in Wiedemar gibt es genau zu diesem Thema viele Fragen. Wäre der Fachkräftebedarf für solch eine Großansiedlung in Nordsachsen und der Region Wiedemar überhaupt realisierbar – wie sehen Sie das?

Keyselt: Bei einem Großprojekt wie Wiedemar sprechen wir ja über etwas ganz Besonderes, über etwas Einzigartiges in Deutschland und vielleicht sogar in Europa, um mal den Staatsminister Oliver Schenk zu zitieren. Die Erfahrungen bei anderen großen Ansiedlungen zeigen schon, dass dadurch eine Art Magnetwirkung entsteht. Wir sprechen auch gar nicht davon, dass mit einem Fingerschnipsen von heute auf morgen alle Arbeitskräfte sofort gebraucht werden. Im Regelfall vollzieht sich so eine Ansiedlung stufenweise über viele Jahre hinweg. Und in dieser Zeit gibt es viele Maßnahmen, die ergriffen werden können. Bei Intel in Magdeburg zum Beispiel sieht man schon jetzt, dass dort sowohl die Hochschulen als auch die Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungen mit neuen Angeboten auf die Bedarfe reagieren. Wir sehen aber auch, dass sich Arbeitswelten in der Zukunft verändern. Es wird durch den Strukturwandel und andere Transformationsprozesse bestimmte Wanderungsbewegungen bei den Fachkräften geben. Hier sind kluge Weiterbildungskonzepte gefragt, um die vorhandenen Fachkräfte für künftige Aufgaben fit zu machen.


  • Ein gewisses Potenzial gibt es auch durch eventuelle Rückkehrer. In Nordsachsen veranstalten Sie seit vielen Jahren einen sogenannten Rückkehrertag. Was sind Ihre Erfahrungen – was brauchen weggezogene Menschen, damit sie wieder in die Heimat Nordsachsen zurückkehren?

Keyselt: Wir stellen fest, dass auf jeden Fall eine starke Bindung an die Heimat vorhanden ist. Wenn wir diese Bindung mit attraktiven Arbeitsplätzen, ausreichend Wohnraum und sozialer Infrastruktur sowie dem Gefühl der Heimatgeborgenheit untersetzen können, werden die Menschen auch wieder zurückkommen. Davon bin ich fest überzeugt.


  • Im Rahmen der Fachkräfte-Allianz engagiert sich Nordsachsen bereits, um Fachkräfte für den Landkreis zu begeistern. Welche Formate gibt es aktuell?

Keyselt: Wir sind sehr stark unterwegs im Bereich der Berufsorientierung, sprechen aber auch mit eigenen Formaten gezielt Pendler an. Wir versuchen ebenfalls, Lehrer davon zu überzeugen, in ländlichen Schulen ihr Lehramt auszuüben, indem wir Touren durch den Landkreis Nordsachsen anbieten, bei denen wir gemeinsam mit den Bürgermeistern die Region vorstellen. Natürlich unterstützen wir auch Projekte zur Gewinnung ausländischer Fachkräfte. Wir haben darüber hinaus einen Podcast gestartet, der auch die sogenannten weichen Standortfaktoren rüberbringen soll – also, was macht uns aus und was macht unsere Region so lebenswert? Dieses Paket bieten wir im Rahmen der Fachkräfte-Allianz an, um Menschen unterschiedlicher Qualifikationen für den Landkreis zu gewinnen.


  • Stichwort Pendler: Es gibt viele Menschen, die aktuell aus dem Landkreis pendeln. Welches Potenzial sehen Sie in Pendlern, wenn es um die Fachkräftefrage geht?

Keyselt: Wir haben – so der Stand, der mir aus den Statistiken bekannt ist – mehr als 40.000 Auspendler im Landkreis Nordsachsen. Das ist schon ein Potenzial, das man auch nutzen kann. Dafür muss es uns aber gelingen, adäquate Jobangebote zu schaffen, damit Pendler ernsthaft darüber nachdenken, den Arbeitsplatz zu wechseln und dadurch entsprechende Fahrzeiten einsparen. Und da wäre das Industriegebiet in Wiedemar mit einer einzigartigen Ansiedlung und demzufolge auch einzigartigen Arbeitsplätzen eine große Chance.


  • Sie haben bereits die Zuwanderung angesprochen. Wie wichtig ist sie für Nordsachsen, um den aktuellen Fachkräftebedarf zu stabilisieren oder für künftige Ansiedlungen zu erhöhen?

Keyselt: Für viele nordsächsische Unternehmen ist Zuwanderung bereits „business as usual“. Es ist Alltag, mit ausländischen Fachkräften zu arbeiten und auch selbst ausländische Fachkräfte zu akquirieren. Ich denke, es wird auch in Nordsachsen nicht ohne gezielte Zuwanderung funktionieren. Deswegen unterstützen wir die Maßnahmen von IHK und HWK. Wir initiieren aber auch selbst Aktionen, zum Beispiel zur Gewinnung ausländischer Fachkräfte in der Glasindustrie. Kurzum: Ich bin davon überzeugt, dass es nicht ohne gehen wird


  • Kommen wir zur letzten Frage: Wo sehen Sie Nordsachsen im Jahr 2030?

Keyselt: Ich bin mir sicher, dass wir mit den Entscheidungen der vergangenen Jahre im Landkreis Schwerpunkte gesetzt haben, die uns fit für die Zukunft machen. Uns ist mit dem Großforschungszentrum CTC in Delitzsch eine unfassbar gute Ansiedlung gelungen, die insbesondere im Bereich der Chemie und der Kreislaufwirtschaft Grundlagen schaffen wird, um dort Innovationen zu beflügeln und die Chemie-Industrie einmal komplett umzudrehen. Mit der Investition in den GlasCampus Torgau haben wir auch im Bereich Glas den Weg für tolle Innovationen geebnet, die Nordsachsen attraktiv für Fachkräfte und weitere Ansiedlungen machen. Und wenn sich die Bürgerinnen und Bürger für das Industrievorsorgegebiet in Wiedemar entscheiden, können wir in der Region wirklich etwas Einzigartiges aufbauen, das überregional und generationsübergreifend von Bedeutung sein wird. Auch davon bin ich fest überzeugt. Ich freue mich sehr, dass die Bürgerinnen und Bürger hier die großartige Chance haben, über die Zukunft ihrer Heimat direkt mitzubestimmen.


Vielen Dank für das Gespräch, Herr Keyselt.



Hier nachzulesen in der 3. Ausgabe des Gemeindebotens vom 16.03.2024.

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


In diesem Zukunftsgespräch möchte ich Ihnen einen Einblick in den komplexen Abwägungsprozess zu den Stellungnahmen des IVG-Bebauungsplans geben. Die gründliche Beschäftigung mit Ihren Anregungen nimmt mehrere Monate in Anspruch – ich möchte Ihnen zeigen, wo wir derzeit stehen.



Ich spreche nochmals mit Eric Toussaint von der ICL Ingenieur Consult GmbH. Neben der seecon Ingenieure GmbH beschäftigt sich sein Planungsbüro intensiv mit jeder Stellungnahme.




  • Bis zum 6. Oktober 2023 sind 333 Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern zum B-Plan des IVG eingegangen, dazu kamen 61 weitere Anmerkungen von Trägern öffentlicher Belange wie Behörden. Ist dies eine hohe Zahl oder ist der Rücklauf vergleichbar mit ähnlichen B-Plänen?

Eric Toussaint: Bei vergleichbaren Projekten sind wir geringere Zahlen gewohnt. Aber die hohe Zahl in Wiedemar war für mich zu erwarten. Wir haben es mit einem Projekt zu tun, das in der Bundesrepublik seinesgleichen sucht. Dementsprechend gingen bereits im Vorfeld viele Anrufe und Fragen von Bürgern bei uns ein. Und da war schon klar, dass dieses Projekt ein großes öffentliches Interesse auslöst und es viele Stellungnahmen geben wird. Das ist auch gut so. Eine breite öffentliche Debatte zu den Zukunftsfragen der gesamten Region halte ich für mehr als gerechtfertigt.


  • Wie viele Seiten Papier liegen auf Ihrem Tisch?

Toussaint: Das haben wir tatsächlich noch gar nicht gezählt. Aber es dürften weit über 1.000 Seiten sein, schätze ich.


  • Das ist wirklich viel. Aus diesem Grund ist es uns als Gemeinderat wichtig, dass nichts überstürzt wird. Gründlichkeit vor Schnelligkeit ist unsere Prämisse, weshalb wir uns für den 1. September 2024 als Termin für den Bürgerentscheid entschieden haben. Was passiert derzeit genau mit den Stellungnahmen?

Toussaint: Im ersten Schritt wurden alle Stellungnahmen an die beteiligten Planungsbüros überreicht – also an uns sowie an die seecon Ingenieure GmbH. Während wir uns von der ICL mit den städtebaulichen und infrastrukturellen Aspekten beschäftigen, kümmert sich seecon um umweltplanerische Fragestellungen. Wir haben zuerst alle Stellungnahmen gesichtet und digitalisiert – teilweise wurden sie handschriftlich und per Brief eingereicht. Anschließend haben wir sie in einer Tabelle nach Themenfeldern einsortiert. Aktuell erarbeiten und formulieren wir erste Vorschläge für die möglichen Abwägungen und stimmen uns dafür mit den öffentlichen Behörden und unterschiedlichen Fachgutachtern ab. Für verkehrsrelevante Stellungnahmen sind wir beispielsweise im engen Austausch mit dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr. Dieser Prozess ist sehr wichtig, weil diese Behörden bei einem positiven Bürgervotum den Plänen auch zustimmen müssten. Sobald unsere fachlichen Vorabstimmungen abgeschlossen sind, präsentieren wir dem Gemeinderat einen Abwägungsvorschlag. Daraufhin haben die Ratsmitglieder die Möglichkeit, ihre Fragen, Anmerkungen oder eigene Formulierungen einzubringen. Anschließend dürfen die Bürger über das Projekt abstimmen. Sollte sich die Mehrheit für das IVG aussprechen, müsste der Gemeinderat noch die Satzungsfassung des B-Plans mit den Abwägungen beschließen.


  • Mit der Lenkungsausschuss gibt es auch ein Gremium in Wiedemar, das sich intensiv mit dem Planungsverfahren und den Abwägungen beschäftigt.

Toussaint: Richtig, mit dem Lenkungsausschuss sind Sie als Bürgermeister und Ihr Kollege vom Bauamt der Gemeinde Wiedemar nah an allen Prozessen dran. Neben Vertretern der beiden Planungsbüros und einem Projektsteuerer werden je nach Thema weitere Experten eingeladen, die vor Ort ihre Expertise in das Planverfahren einbringen können.


  • Zu welchen Themen kamen besonders viele Anmerkungen zum B-Plan ein?

Toussaint: Aus der Bürgerschaft sind sehr viele Stellungnahmen zu den Themen Verkehr und Schallschutz eingegangen. Da sind wir aktuell intensiv in den Prüfungen, wie wir mit diesen Anregungen umgehen. Speziell beim Thema Schall haben wir uns mit der Emissionsschutzbehörde und Rechtsexperten abgestimmt, um die Einstufung der Immissionsorte nochmals anzupassen – also die Orte, an denen Geräusche für Anwohner wahrnehmbar sind. Ähnlich verhält es sich beim Verkehr. Hier klären wir ebenfalls, wo Anpassungen im Bebauungsplan nötig sind, zum Beispiel bei der Südanbindung des geplanten Industrievorsorgegebietes. Darüber hinaus kamen vereinzelte umwelt- und klimabezogene Stellungnahmen sowie Anmerkungen zu global-wirtschaftlichen Themen.


  • Nach welchen Kriterien wird gewichtet, welche Einwände berücksichtigt werden und welche nicht?

Toussaint: Es gibt bestimmte Themen, mit denen können wir uns im Rahmen dieses Abwägungsprozesses nur bedingt beschäftigen – Themenstellungen wie globales Klima, globaler Arbeitsmarkt, globale Lieferketten. Die nehmen wir auf und leiten sie an die Gemeinde weiter. Aber wir können nur Dinge berücksichtigen, die im unmittelbaren Wirkungsbereich des Projekts eine Rolle spielen. Einwände zu konkreten Gutachten oder Aussagen des B-Plans nehmen wir daher sehr ernst. In diesen Fällen rechnen wir nochmals nach oder stimmen uns mit den jeweiligen Fachgutachtern oder Fachbehörden ab. Sollten unsere Annahmen passen, wird in der Abwägung dezidiert dargestellt, dass auch der Einwand nicht korrekt ist. Es gibt aber auch Stellungnahmen, die den Nagel auf den Kopf treffen – hier werden konkrete Punkte im Planwerk genannt, an denen wir nochmals Anpassungen vornehmen müssen. Aber so viel vorweg: Dies sind alles keine Anpassungen, die dazu führen, dass vom gesamten Projekt zurückgetreten werden muss. Es sind Änderungen in der Formulierung sowie einzelne kleine Festsetzungen und Präzisierungen.


  • Wird trotz der großen Zahl jede Stellungnahme einzeln berücksichtigt?

Toussaint: Da so viele Stellungnahmen eingegangen sind, können wir nicht auf jede einzeln eingehen. Wir werden sie thematisch bündeln. Allerdings erhält jeder Stellungnahme eine Nummer, die dann den entsprechenden Abwägungen zugeordnet wird. Insofern gehen wir indirekt auf jede Stellungnahme ein.


  • Der Abwägungsprozess erfordert von Ihnen also ein hohes Maß an Neutralität?

Toussaint: Exakt. Wir sind dazu angehalten, in diesem Bauleitplanverfahren eine Art neutrales Gremium zu bilden. Wir können uns nicht auf die Seite der Gemeinde stellen und zum Beispiel die Anforderungen an den Schallschutz oder Verkehr ungerechtfertigt hoch hängen, weil wir dann wiederum die Interessen und Gleichstellung eines möglichen Investors beschneiden. Dann könnte der B-Plan von dieser Seite her beklagt werden, etwa weil es hier eine unrechtmäßige Benachteiligung gäbe. Deshalb ist es wichtig, dass wir jedes Thema sachlich, dezidiert und neutral behandeln.


  • Wann kann der Gemeinderat mit der Übergabe Ihrer Abwägungsvorschläge rechnen?

Toussaint: Wir haben das Ziel, dem Gemeinderat die Unterlagen Ende März bzw. Anfang April zu übergeben. Danach nehmen wir uns die Zeit und erläutern die Unterlagen mit den Gemeinderäten.


Ich bin sehr gespannt darauf. Herr Toussaint, ich danke Ihnen für Ihren bisherigen Einsatz – und für dieses aufschlussreiche Gespräch.



Hier nachzulesen in der 2. Ausgabe des Gemeindebotens vom 16.02.2024.

Bürgermeister Steve Ganzer gibt einen Ausblick auf das Jahr 2024


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


Diese Ausgabe unseres „Zukunftsgesprächs“ ist besonders. Normalerweise stelle ich Fragen an Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, um mich über die Chancen und Anforderungen eines möglichen Industrievorsorgegebietes in unserer Gemeinde Wiedemar auszutauschen. Am Anfang dieses historischen Jahres möchte ich gern die Gelegenheit nutzen und mich selbst an Sie mit ein paar Worten wenden.



Liebe Bürgerinnen und Bürger,

ein neues Jahr liegt vor uns – und ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass 2024 ein historisches Jahr für Sachsen und Wiedemar sein wird. Wir alle haben die große Chance, wichtige Entscheidungen über die Zukunft unserer Gemeinde und auch unseres Freistaates zu treffen. Mit den Europa-, Kreistags- und Gemeinderatswahlen am 9. Juni 2024 haben wir die Wahl, wer die Entwicklung unserer Region künftig weiter vorantreiben wird. Und am 1. September 2024 können wir mit unseren Stimmen entscheiden, wer im sächsischen Landtag unsere Interessen politisch vertritt. Nutzen wir dieses freie Mitbestimmungsrecht, das uns die Demokratie ermöglicht!

Neben den zentralen Wahlen steht speziell uns Bürgerinnen und Bürgern von Wiedemar eine weitere Möglichkeit der demokratischen Mitbestimmung bevor – und zwar in Form eines einzigartigen Instruments: ein Bürgerentscheid. Gemeinsam können wir darüber abstimmen, ob wir in Zukunft einen Teil unserer Gemeindefläche für die Ansiedlung eines Hochtechnologie-Unternehmens bereitstellen. Für mich ist die Planung eines Industrievorsorgegebietes ein vielversprechender Baustein, um die Weichen für attraktive Arbeitsplätze, Wohlstand und die Fortentwicklung unserer Gemeinde zu stellen. Ich sehe es als Chance für Investitionen in unsere kommunale Infrastruktur, wie Schulen, Freizeiteinrichtungen und Verkehrswege.  Doch natürlich entscheide ich das nicht allein. Wir alle in Wiedemar sind gefragt und können beim Bürgerentscheid abstimmen, in welche Richtung sich unsere Gemeinde künftig entwickeln soll.

 

Konstruktiver Austausch zur Zukunft von Wiedemar

In den vergangenen zwölf Monaten haben wir uns bereits intensiv mit den Chancen, Erwartungen, Bedenken und Auswirkungen eines IVG in Wiedemar beschäftigt. Angefangen bei der Bürgerbefragung im Frühjahr 2023 war dann die Veröffentlichung des Bebauungsplanentwurfs für ein modernes, auf Nachhaltigkeit ausgelegtes Industrievorsorgegebiet ein wichtiger Meilenstein. Anschließend hatten wir Bürgerinnen und Bürger von Wiedemar sowie lokale Ämter und öffentliche Organisationen für sechs Wochen die Möglichkeit, den Plan selbst anzuschauen und Stellungnahmen abzugeben. Bei unserem ersten ZUKUNFTSFORUM am 6. September 2023 wurde zudem über die einzelnen Punkte direkt mit den Planungsexperten diskutiert.

Am Ende der öffentlichen Auslegung erreichten uns 333 Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern und dazu weitere Anmerkungen von einigen Trägern öffentlichen Belange. Eine großartige Beteiligung! Es hat mich sehr gefreut – und ja, auch stolz gemacht – wie engagiert und weitgehend konstruktiv wir uns mit der Zukunft von unserer Heimat Wiedemar auseinandersetzen. Auch beim zweiten ZUKUNFTSFORUM am 24. November 2023 und dem ersten Zukunftsstammtisch im Dezember fanden aufschlussreiche Diskussionen statt. An dieser Stelle bedanke ich mich nochmals herzlich bei Ihnen – für Ihre Zeit und Ihre Anregungen.

Die zurückliegenden Monate sowie Ihre zahlreichen Stellungnahmen zum Bebauungsplan haben gezeigt, dass es zu diesem Thema viel Gesprächs-, Abstimmungs- und Informationsbedarf gibt. Ich kann dies voll und ganz verstehen – eine Großansiedlung würde Veränderungen für unsere Gemeinde mit sich bringen. Und es braucht viele Perspektiven, um ein derart komplexes Vorhaben so zu gestalten, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen etwas davon haben und niemand benachteiligt wird. Nehmen wir uns also die Zeit, um uns weiter dazu auszutauschen!

 

Mehr Zeit bis zum Bürgerentscheid

Am 11. Januar 2024 haben wir als Gemeinderat genau das beherzigt und uns auf den Termin für unseren Bürgerentscheid verständigt: Es ist der 1. September 2024 – später also als ursprünglich anberaumt. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es der richtige Weg ist, sich jetzt diese Zeit zu nehmen. Gründlichkeit vor Schnelligkeit ist meine Prämisse. Deshalb soll der Gemeinderat ausreichend Zeit erhalten, die eingegangenen Stellungnahmen genau anzuschauen und sich mit den Abwägungsunterlagen auseinanderzusetzen. Wir werden die wichtigsten Themen und Stellungnahmen für Sie thematisch zusammenfassen, um Ihnen einen klaren Überblick zu bieten. Parallel erhalten Sie in den kommenden Monaten weitere Informationen zum jeweiligen Status Quo des Verfahrens und Bebauungsplan des Industrievorsorgegebietes.

Mir ist es ein dringendes Anliegen, dass alle Bürgerinnen und Bürger ausreichend Gelegenheit haben, sich über das IVG und die damit verbundenen Chancen und Risiken zu informieren und ihre Meinung dazu zu äußern. Deshalb werden wir verschiedene Formate für sie anbieten. Es ist ein Anliegen des Gemeinderates, dass alle Stimmen gehört werden und dass die Entscheidung über das IVG auf einer breiten Basis von Informationen und Meinungen beruht.

Ich lade Sie herzlich ein, sich weiterhin aktiv an diesem Prozess zu beteiligen und Ihre Gedanken und Anliegen einzubringen. Denn letztendlich geht es um die Zukunft unserer Gemeinde Wiedemar. Ich bin davon überzeugt, dass eine offene und transparente Diskussion dabei helfen wird, die bestmögliche Entscheidung für alle Beteiligten zu treffen.

Ich freue mich auf dieses historische Jahr – und vor allem darauf, diesen überaus spannenden Weg der Bürgerbeteiligung gemeinsam mit Ihnen gehen zu können. Es ist eine großartige Chance, selbst die Zukunft unserer Heimat zu gestalten. Denn das möchte ich abschließend deutlich betonen: Unsere Entscheidung am 1. September zählt! Es ist unser Projekt und unser Votum! Ob Wiedemar künftig ein Standort für Hochtechnologie sein wird oder wir einen anderen Weg einschlagen, liegt ganz in unseren Händen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Jahr 2024.

 

Herzlichst

Ihr Steve Ganzer


Hier nachzulesen in der 1. Ausgabe des Gemeindebotens vom 19.01.2024.

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


 

Leider konnte ich krankheitsbedingt nicht beim ZUKUNFTSFORUM #2 dabei sein. Im Nachgang habe ich mir jedoch den Mitschnitt der vier Diskussionsrunden angeschaut – und mich mit Peter Escher unterhalten.



In dieser Ausgabe spreche ich mit Peter Escher. Der Journalist hat viele Jahre für den MDR moderiert. Bestimmt kennen Sie noch seine Sendung „Ein Fall für Escher“. Heute begleitet er u. a. die ZUKUNFTSREGION WIEDEMAR als Moderator vom ZUKUNFTSFORUM.




  • Herr Escher, am 24. November haben Sie das knapp vierstündige ZUKUNFTSFORUM #2 moderiert – dies war sicher ein großer Kraftakt für Sie. Wie kam das neue Talkshow-Format an?

Peter Escher: Es verlief tatsächlich länger als geplant, aber es ging um wichtige Themen für die Region. Da gibt es natürlich viel Gesprächsbedarf bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das Fishbowl-Talkshow-Format hat dafür gut funktioniert. Im Innenkreis durfte mitdiskutiert werden, vom Außenkreis konnte die Diskussion verfolgt werden. Wer mitreden wollte, setzte sich einfach auf einen freien Stuhl im Innenkreis. Und das haben die Menschen aus Wiedemar auch direkt gemacht. Es gab viele Wortmeldungen mit verschiedenen Perspektiven – und bis auf wenige Ausnahmen wurden die Stühle auch schnell wieder für andere freigegeben.


  • Sie haben auch schon das erste ZUKUNFTSFORUM moderiert. Wie nehmen Sie die Stimmung der Menschen in Wiedemar wahr, wenn es um das IVG geht?

Escher: Es gibt ein sehr hohes Interesse an dem Thema. Allein beim zweiten ZUKUNFTSFORUM kamen über 150 Bürgerinnen und Bürger nach Zwochau – obwohl
es ein Freitagabend mit sehr ungemütlichem Wetter war. Es gibt viele verschiedene Meinungen zum IVG, darunter auch Sorgen und Bedenken. Was ich hierbei sehr schätze, ist, dass darüber im Großen und Ganzen sehr konstruktiv miteinander diskutiert wird.


  • Ja, es gibt einen großen Gesprächsbedarf in der Gemeinde. Welche Gedanken und Meinungen haben die Bürgerinnen und Bürger von Wiedemar geäußert?

Escher: Das war ganz unterschiedlich. Einige meinten, dass Wiedemar als ländlich und mittelständisch geprägte Region keine Industrie vertrage. Andere fragten, wie es bei einer Großansiedlung mit der Wasserversorgung funktionieren solle und warum dafür Ackerboden hergegeben werden müsse. Oder ob sich Deutschland und Europa in Hochtechnologie-Branchen überhaupt noch unabhängig von Asien machen könnten. Eine Sorge hat mich besonders beschäftigt: Einige Menschen denken, dass beim IVG bereits alles entschieden sei und der Bürgerentscheid keine Bedeutung habe. Das ist aber keineswegs so! Oliver Schenk, Chef der sächsischen Staatskanzlei, hat das auch klargestellt: „Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden bald darüber, in welche Richtung sich Wiedemar in Zukunft entwickeln soll.“


  • Beim zweiten ZUKUNFTSFORUM ging es vor allem um die wirtschaftlichen Chancen eines möglichen IVG in Wiedemar. Es waren wieder mehrere Expertinnen und Experten aus Politik, Forschung und Wirtschaft zu Gast. Welche Potenziale gibt es denn aus deren Sicht?

Escher: Hier hat auch Herr Schenk wichtige Punkte genannt: Wirtschaft ist dynamisch und in Zukunft werden besonders Hochtechnologien wie Mikroelektronik, Biotechnologie sowie neue Werkstoffe und Kraftstoffe die zentralen Branchen sein, die Arbeitsplätze schaffen. Deshalb sei es wichtig, jetzt zu investieren, damit sich vielleicht ein internationales Unternehmen ansiedelt und die ganze Region wirtschaftlich weiter voranbringt. Dr. Christian Growitsch vom Fraunhofer-Zentrum bestätigte das mit seinem wissenschaftlichen Blick. Er meinte, dass es empirisch erwiesen sei, dass große Unternehmen viele positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung einer Region haben. Neue Aufträge für mittelständische Firmen, höhere Steuereinnahmen für die Gemeinde.


  • Es ging auch um die Frage, inwieweit sich der Fachkräftebedarf für eine Großansiedlung in Wiedemar überhaupt stemmen ließe. Welche Positionen gab es hier?

Escher: Einige lokale Unternehmen erzählten von ihren aktuellen Problemen bei der Besetzung von Stellen. Sven Keyselt, Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung und Landwirtschaft Nordsachsens, gab aber zu bedenken, dass derzeit viele Menschen aus dem Landkreis zur Arbeit weg pendeln. Und dass viele, die vor Jahren weggezogen sind, sofort zurückkehren würden, wenn es in der Heimat gute Arbeit gäbe. Ein Argument von Henning Mertens von der Metropolregion Mitteldeutschland fand ich auch einleuchtend: In der Region gibt es erstklassige Hochschulen. Aber nach dem Abschluss ziehen viele Studierende wieder weg, weil es an beruflichen Perspektiven fehlt. Es gibt also jede Menge potenzielle Fachkräfte.

 

  • Sie leben in Leipzig – eine Stadt, die ebenfalls von Großansiedlungen profitiert hat. Wie haben Sie die Veränderungen der vergangenen 20 Jahre erlebt?

Escher: Leipzig hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Zum Positiven, wie ich finde. Die Stadt ist lebendiger und internationaler geworden, es sind viele neue Arbeitsplätze dazugekommen. In erster Linie ziehen oder bleiben die Leute wegen der Arbeit in einem Ort, meinte auch Anja Hähle-Posselt von der Stadt Leipzig. Als Porsche sein Werk in Leipzig ankündigte, kam Leipzigs Wirtschaft nach dem Wendeknick wieder in Schwung, sagte sie ebenfalls. Das kann ich so bestätigen.

 

  • Welcher Satz ist Ihnen beim ZUKUNFTSFORUM #2 besonders in Erinnerung geblieben?

Escher: Ein Satz von Jörn-Heinrich Tobaben von der Metropolregion Mitteldeutschland war das. Er meinte, dass Wiedemar im europaweiten Standortranking für eine Großansiedlung weit oben stehe, weil hier alle Kriterien stimmen. Er sprach zudem von einer historischen Situation, weil Sachsen durch Strukturwandelprogramme derzeit Geld für Fördermittel zur Verfügung hätte. Das hat mich echt beeindruckt.


  • Was interessiert Sie persönlich an einem Projekt wie der Zukunftsregion Wiedemar?

Escher: Ich finde, Demokratie lebt von politischem Weitblick und dem offenen Austausch. Deshalb finde ich es stark, dass die Bürgerinnen und Bürger bei diesem tiefgreifenden Projekt so umfassend informiert und mitgenommen werden und dass sie so viel Entscheidungskraft erhalten. Ein Bürgerentscheid ist immerhin eines der stärksten demokratischen Instrumente, das muss von jeder Bürgerin und jedem Bürger dann auch genutzt werden.


Vielen Dank, Herr Escher.



Hier nachzulesen in der 8. Ausgabe des Gemeindebotens vom 23.12.2023.

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


Der Bebauungsplan konnte viele Wochen vom 21. August bis 6. Oktober 2023 diskutiert sowie kommentiert werden und in den ersten Dialogveranstaltungen haben wir viele Fragen aufgeworfen, geklärt oder mitgenommen. Ich frage weiter nach, um mehr über die Bedeutung des Industrievorsorgegebietes für unsere Gemeinde Wiedemar zu erfahren.



Diesmal bin ich im Gespräch mit Dirk Diedrichs, der als Beauftragter für Großansiedlungen im Freistaat Sachsen Projekte wie das Industrievorsorgegebiet Wiedemar betreut.




  • Warum setzt der Freistaat Sachsen auf die Ansiedlung vor allem großer Unternehmen

Dirk Diedrichs: Als Landesregierung haben wir die Verantwortung, für gute Lebensbedingungen zu sorgen. Dazu gehört natürlich eine starke Wirtschaft mit hochwertigen Arbeitsplätzen. Wir denken hier an zukunftsfähige Branchen, die gute Arbeit und hohe Innovationskraft mitbringen. Große Technologieunternehmen haben Strahlkraft auf die regionale Wirtschaft und garantieren langfristiges Wachstum.


  • Bisher wurde viel importiert und die Industrie ist in der Vergangenheit aus dem ländlichen Raum eher abgewandert. Das wird sich ändern?

Diedrichs: Corona und auch der Krieg in der Ukraine haben uns gezeigt, dass wir uns nicht mehr wie vorher auf Lieferketten und Importe allein verlassen
können. Die Globalisierung stößt an ihre Grenzen und der Trend geht dahin, Wissensbranchen wieder verstärkt in Europa anzusiedeln und so suchen gerade große Unternehmen nach großen Flächen. Das haben alle Regionen erkannt, was den internationalen Wettbewerb um attraktive Ansiedlungen immer härter macht. Als TSMC sich konkret für eine Investition in Dresden interessierte, war es ein Glück, dass dort eine ausreichend große Fläche mit bestehendem Baurecht vorhanden war. Die Plätze werden jetzt vergeben und wir sollten dieses Zeitfenster nutzen, um nicht hintendran zu stehen, wenn sich die Wirtschaft neu in Europa strukturiert hat.


  • Warum ist es sinnvoll, hier zu produzieren und nicht auf eine weltweite Vernetzung zu setzen?

Diedrichs: Neben den erwähnten Krisen, die globale Lieferketten anfälliger machen, müssen wir hier vor Ort die Wirtschaft der Zukunft stärken. Wir befinden uns immer noch im Strukturwandel, den wir vor allem für die kommenden Generationen nicht verpassen dürfen. Hier in Deutschland können wir zu unseren eigenen Bedingungen produzieren und damit auch die Werte für die Menschen im Land erhalten und nutzbar machen. Waren und Innovationen dort zu produzieren, wo man sie auch braucht, ist nicht zuletzt ein großer Faktor beim Thema Umwelt. Denn kurze Wege bedeuten geringe Treibhausgas-Emissionen.


  • Warum wurde die Fläche in Wiedemar ausgewählt und wozu benötigt man diese Größe?

Diedrichs: Wir haben eine intensive Untersuchung mit einer Vielzahl von Kriterien durchgeführt. Hochtechnologie verlangt nach wirklich großen, zusammen-hängenden Flächen, das haben wir nicht nur bei Intel gesehen. Es mag nicht so erscheinen, aber solche Flächen in Sachsen zu finden, ist mittlerweile fast unmöglich geworden. In dieser Größe und mit diesen Rahmenbedingungen haben wir nahezu keine vergleichbaren Alternativen vorzuweisen.

In Wiedemar gibt es eine günstige Topografie, also keine Hügel oder Täler, die eine Bebauung schwierig machen würden. Die Anbindung zum Großraum Leipzig und darüber hinaus ist hervorragend und wir haben viele Forschungseinrichtungen in der Umgebung. Das ist zentral, um hier eine Ansiedlung im Hochtechnologiebereich zu verankern.


  • Wie sehen Sie den Beteiligungsprozess, der eine breite Öffentlichkeit erreicht?

Diedrichs: Mir ist es sehr wichtig, so ein Projekt mit allen Bürgerinnen und Bürgern, die letztlich ja auch entscheiden, transparent zu besprechen. Wir wollen aufzeigen, warum solche Vorhaben entscheidend für eine zukunftsfähige sächsische Wirtschaftslandschaft sind. Die formelle Beteiligung im Verfahren ist das eine, aber die Veranstaltungen, Fragerunden und Dialogformate sind noch wichtiger und bei solchen Vorhaben normalerweise nicht so vielfältig. Aber ohne eine breite Basis ist so etwas nicht zu verwirklichen. Meine Aufgabe sehe ich darin, die Vorteile und Möglichkeiten für die Region klarzumachen, aber auch die Bedenken ernst zu nehmen und mit an Lösungen zu arbeiten.

 

  • Sie sprechen die Bürgerbeteiligung an. Wie bewerten Sie die Debatten bisher?

Diedrichs: Ich wünsche mir, dass der Prozess und vor allem der Dialog hier mit den Bürgerinnen und Bürgern so sachlich und konstruktiv weitergeht, wie ich es bisher erlebt habe. Ich war ebenfalls beim ersten Zukunftsforum im September vor Ort und konnte mir ein gutes Bild von der Stimmungslage machen. Ich will verstehen, was die Menschen umtreibt und wo wir nachjustieren müssen. Mir ist sehr wichtig, dass die offenen Fragen geklärt werden. Dafür haben wir auch viele Experten zu Rate gezogen und tauschen uns intensiv in der Landesregierung und hier mit Ihnen in der Kommune aus.

  

Vielen Dank, Herr Diedrichs. 



Hier nachzulesen in der 10. Ausgabe des Gemeindebotens vom 21.10.2023.

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


Der Bebauungsplan liegt seit dem 21. August öffentlich aus und noch bis zum 6. Oktober haben Sie die Möglichkeit, Stellungnahmen einzureichen. Nach der ersten Veranstaltung ZUKUNFTSFORUM am 06. September vertiefe ich das Gespräch mit Experten, um die gestellten Fragen rund um das Industrievorsorgegebiet zu beantworten.


Diesmal frage ich Städteplaner Marco Spatz, der bei der ICL Ingenieur Consult den Bebauungsplan mitentwickelt hat, welche Immissionen die umliegenden Ortschaften zu erwarten haben.





  • Zum Anfang eine Verständnisfrage: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Emissionen und Immissionen?

Marco Spatz: Überschlägig erklärt ist Emission der Ausstoß an Abgasen, Schall oder Licht, der unmittelbar an der Quelle entsteht. Immissionen dagegen sind alle Einflüsse, die zum Beispiel auf eine Ortschaft einwirken. Sie ergeben sich aus der Distanz zwischen Emissionsquelle und Immissionsort. Als Summe aller Einflüsse ist die Menge der Immissionen auf einen Ort, also das, was bei den Menschen tatsächlich ankommt, die für die Neuplanung eines Industriegebietes entscheidende Größe.


  • Welchen Stellenwert haben Immissionen in einem Bebauungsplan?

Marco Spatz: Sie sind vielleicht sogar das zentrale Thema. Daran lässt sich ja am besten messen, wie Mensch und Natur konkret beeinflusst werden. Immissionsschutz ist sehr komplex und vielseitig. Hier ist jahrelange Praxiserfahrung gefragt, die wir uns durch Fachgutachten eingeholt haben. Die Ausgangsfrage
der Planung lautete dabei: Wie können die Immissionen auf ein Minimum reduziert werden? Die Antwort ist simpel und zugleich komplex: Durch rechts-verbindliche Vorgaben, die auf jahrzehntelang entwickelten Verfahren beruhen, sowie durch die Ansiedelung von emissionsarmen Unternehmen, die sich an diese Vorgaben halten müssen. Grundsätzlich arbeiten ja Unternehmen der Hochtechnologie meist emissionsarm. Rauchende Schlote wird es nicht geben. Und die Unternehmen müssen immer mehr auf ihre Außenwirkung achten und die sich immer weiter verschärfenden Umweltanforderungen erfüllen. Ich selbst habe mir in der Vergangenheit den Unterschied zwischen klassischen aus dem Bestand heraus entwickelten und modernen Industriegebieten in der Praxis angesehen und war beeindruckt über die heutigen Möglichkeiten.


  • Lichtverschmutzung ist ja ein großes Thema. Wie reagiert die Industrie darauf?

Spatz: In einem modernen Industriegebiet gilt der Grundsatz, Licht nur dorthin zu lenken, wo es gebraucht wird und auch nur dann, wenn es gebraucht wird. Sensoren werden eingesetzt, um Beleuchtung nur dort einzuschalten, wo Licht auch tatsächlich benötigt wird. Und mit LEDs kann man das Lichtspektrum und die Farbtemperatur so steuern, dass es Menschen und Tiere nicht beeinträchtigt. LEDs werden auch deshalb genutzt, weil sie die Energiekosten senken. Der Bebauungsplan enthält insgesamt sehr restriktive Regelungen. Dies ist jedoch auch notwendig aufgrund der Lage im ländlichen Raum und den bisher noch fehlenden Vorschriften auf Bundesebene. So ist z. B. festgeschrieben, dass angeleuchtete Werbeanlagen nicht erlaubt sind, dass das Licht nach unten gerichtet werden muss und dass Dunkelräume zu den Grünräumen und Ortslagen entstehen. 


  • Man verbindet Industrie traditionell mit Lärm, manchmal auch rund um die Uhr. Welche Konzepte in Bezug auf den Verkehrs- und Gewerbelärm gibt es dazu?

Spatz: Dem Verkehrs- und Mobilitätskonzept liegt der Gedanke zugrunde, den Anteil an Fahrzeugen und damit den Verkehrslärm zu reduzieren. Unsere Berechnungen zeigen, dass hier die gesetzlichen Werte schalltechnisch teilweise deutlich unterschritten werden. Nichtsdestotrotz haben wir im ZUKUNFTSFORUM die besondere Sensibilität des Themas bei der Bevölkerung wahrgenommen und uns entschieden, eine Optimierung nochmals zu prüfen. Schauen wir uns den Schall an, den die Industrie direkt ausstößt, so gibt es verbindlich festgeschriebene Lärmkontingente, die garantieren, dass die umliegenden Ortschaften nicht von unzulässiger Lärmbelästigung betroffen sein werden. Die Werte sind so niedrig, um nur lärmarme Betriebe der Hochtechnologie zu ermöglichen. Sie gewährleisten ein ganz normales Wohnen sowohl am Tag als auch in der Nacht. Möglicher Lärmschutz durch Bebauung oder den beabsichtigten Schutzwall spielen in der Berechnung sogar keine Rolle. Aber auch hier werden wir nach den Erkenntnissen im ZUKUNFTSFORUM und mit Sichtung der Stellungnahmen definitiv nochmals in eine intensive Prüfung gehen.


  • Viele Menschen denken bei Industrie auch an potenzielle Gefahren durch Explosionen oder Brände. Wie wird damit umgegangen? 

Spatz: Dieses Thema nennt sich in der Fachsprache „Störfallschutz“ und wird gerade im Bestand häufig leider nicht angemessen betrachtet. Wir gehen hier
jedoch einen anderen Weg und haben uns entschieden, verbindliche Regelungen zu treffen. Das heißt konkret, dass wir uns nach verschiedenen Abstandsklassen von Betrieben und Anlagen richten, denen wissenschaftliche Untersuchungen zugrunde liegen. Besonders emissionsintensive Betriebe und Anlagen, die die Abstände nicht einhalten können, sind demnach ausgeschlossen. So kann selbst in einem unwahrscheinlichen Störfall, der trotz aller Sicherheitsvorschriften auftritt, die Sicherheit der Bevölkerung zu jederzeit gewährleistet werden.

Vielleicht an dieser Stelle noch eine Klarstellung zu einer Frage, die richtigerweise von einem Bürger an mich gestellt wurde: Warum werden Atommüllendlager, Deponien oder Bergbauvorhaben nicht konkret ausgeschlossen?
Dies hat damit zu tun, dass diese Vorhaben per se ausgeschlossen sind und nicht durch Bebauungspläne, sondern durch sogenannte „Planfeststellungsverfahren” und andere Genehmigungsverfahren zu regeln sind. Kurzum: Wir können nichts ausschließen, was ohnehin von vornherein schon ausgeschlossen ist. 

 

  • Es sind ja noch nicht alle Details festgelegt, weil wir es mit einem Industrievorsorgegebiet ohne konkrete Unternehmen dahinter zu tun haben. Wie wirkt sich das auf den Immissionsschutz aus?

Spatz: Vielleicht ist das gerade der Vorteil. Wir können in der aktuellen Planungsphase die Rahmenbedingungen so definieren, dass wir einen maximalen Immissionsschutz gewährleisten. Einzelne Interessen von Unternehmen spielen dabei keine Rolle. Hochtechnologie heißt eben wenig Emissionen in Luft, Boden und Wasser. Wir setzen die Rahmenbedingungen und die möglichen Unternehmen müssen in diesen Rahmen hineinpassen. Die Kriterien zum Schutz von Mensch und Natur sind also festgeschrieben und nicht verhandelbar. Ich selbst wurde bereits von anderen Stadtplanern nach verschiedenen Regelungen, die wir vorgenommen haben, befragt. Der Bebauungsplan kann also vielleicht sogar eine positive Signalwirkung für andere Industriegebiete in Bezug auf den Immissionsschutz setzen.

  

Vielen Dank, Herr Spatz.



Hier nachzulesen in der 9. Ausgabe des Gemeindebotens vom 23.09.2023.

Der Bürgermeister fragt nach


Portrait des Bürgermeister Steve Ganzer aus Wiedemar.

 


Die Planungen zum Industrievorsorgegebiet gehen voran. Nun liegt der Bebauungsplan öffentlich aus. Deshalb gehe ich ins Gespräch mit Experten, um mehr über die Details des B-Plans zu erfahren, um die gestellten Fragen rund um das Industrievorsorgegebiet zu beantworten.




Los geht es mit Eric Toussaint, der bei der ICL Ingenieur Consult GmbH den Bebauungsplan maßgeblich mitentwickelt hat. Er ist Geschäftsbereichsleiter für Stadtentwicklung und Städtebau.




  • Warum braucht man für das Vorhaben einen so umfangreichen Bebauungsplan? 

Eric Toussaint: Mit einem solch groß angelegten Zukunftsprojekt legt eine Gemeinde fest, wohin die Reise der regionalen Wirtschaft gehen soll. Wie ist das Vorhaben in die gesamte Region eingebunden? Warum ist der Standort gut geeignet? Und welche städtebaulichen Auswirkungen hat das auf die Gemeinde? Entwickelt man einen Bebauungsplan, bezieht man alle Interessen und Expertisen mit ein, um die zahlreichen gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten. Viele Gutachten, geradezu Umweltfragen, werden eingeholt. Da kommen dann einige Seiten zusammen. Ich finde das auch wichtig, um alles zu berücksichtigen. 


  • Was regelt ein Bebauungsplan genau? 

Toussaint: Der Bebauungsplan regelt, wie welche Flächen genutzt werden dürfen. Wo werden Grünflächen neu angelegt oder erhalten, wo können Gebäude entstehen, wo braucht es neue Wasserleitungen, wie werden Energieversorgung und Verkehr geregelt und vor allem: wie kann man das Vorhaben so umweltgerecht wie möglich realisieren. Dazu gehören auch Ausgleichsflächen für Tiere, Pflanzen und Boden. Der Bebauungsplan kann demnach als eine Art städtebaulicher Wegweiser für verschiedenste Fachbelange angesehen werden. 


  • Einige Details zu Gebäuden und zur Aufteilung bleiben offen. Wie genau legt der Plan die zukünftigen Ansiedlungen fest? 

Toussaint: In diesem Fall handelt es sich um einen angebotsbezogenen Bebauungsplan. Das heißt, er bereitet sozusagen die Bodennutzung für mögliche Ansiedlungen vor. Konkrete Unternehmen sind hier noch nicht im Spiel, sodass man nicht alles festlegen kann und sollte. Was aber festgelegt wird, sind umfangreiche Anforderungen für zukünftige Ansiedelungen von Unternehmen und der Ausschluss von bestimmten Branchen. Wir zielen hier konkret auf zukunftsträchtige Hochtechnologie ab. Und schließen gleichzeitig Logistik, Schwerindustrie und emissionsreiche Branchen von vorneherein aus.  


  • Warum muss es ein Industriegebiet sein und weshalb kann es nicht ein Gewerbegebiet werden? 

Toussaint: Bei einem Bebauungsplan wird grundlegend Art und Maß der möglichen Bebauung festgesetzt sowie verkehrliche und mediale Erschließungsmöglichkeiten aufgezeigt. Da wir mit der Schaffung eines Industrievorsorgegebietes das Ziel verfolgen, zukunftsweisende und wertschöpfende Branchen anzusiedeln, muss der Bebauungsplan dementsprechend flexibel entwickelt werden, um genau dieses Ziel zu erreichen. Zugegebenermaßen wissen wir heute teilweise noch nicht, welche Anforderungen Betriebe der Hochtechnologie in Zukunft an ihren Standort stellen. Demnach muss der Angebotsbebauungsplan so “gestrickt” sein, dass man die Branchen ausschließt, die aus städtebaulichen und gemeindepolitischen Gründen nicht zulassungsfähig sind, aber die Ziele der Planung nicht beschnitten werden. Hier bietet die Ausweisung als Industriegebiet den größtmöglichen Spielraum, ohne den Schutz der umliegenden Ortsteile zu vernachlässigen. Der sogenannte „Abstandserlass“ bietet eine gute Orientierung in der Bauleitplanung und hat Einzug in die Festsetzungen des Bebauungsplanes gehalten. Ausgeschlossen sind demnach Anlagen oder Betriebsarten der Abstandsklasse I, also besonders emissionsintensive Betriebe. Auch die Abstandsklasse II ist im Bebauungsplan nur ausnahmsweise zugelassen, um größtmöglichen Schutz der sensiblen Wohnnutzungen im Umfeld zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass Branchen wie Logistik, Einzelhandel, Freiflächen PV-Anlagen etc. Ebenfalls ausgeschlossen sind. So schafft es der Bebauungsplan flexibel für Ansiedlungswünsche zu bleiben und trotzdem die Belange der umliegenden Nutzungen zu berücksichtigen. 


  • Zum Thema Umwelt: Was wird hier alles beachtet? 

Toussaint: Die Umweltvorgaben sind in Deutschland sehr streng – und das ist gut so. Dafür wurden für den vorliegenden Plan in Wiedemar rund 15 Gutachten und Einzelkonzepte zu Themen wie Wasser, Emissionen und Natur erstellt. So wird zum Beispiel auch der Boden geprüft und welche Ausgleichsstrategien dafür vorgesehen sind. Insgesamt werden alle relevanten Schutzgüter und auch deren Wechselwirkungen untereinander betrachtet. 

 

  • Wir sind hier in Wiedemar gut an den Verkehr angebunden. Was steht im Bebauungsplan, wie der zu erwartende Verkehr geregelt wird? 

Toussaint: Sie sagen es: Die direkte Anbindung an die Bundesstraße und die kurzen Wege zur Autobahn sind ein entscheidender Vorteil. Klar ist aber auch, dass die Verkehrsinfrastruktur entsprechend leistungsfähig ausgelegt werden muss. Um die Erreichbarkeit der zukünftig Beschäftigten zu gewährleisten, sind bauliche Maßnahmen erforderlich. Auf der anderen Seite wird das Ziel verfolgt, das ein großer Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den sog. Umweltverbund nutzt.  Hier setzen wir auf die angrenzenden Bahnstationen, den ÖPNV, verbunden mit Fahrrad und sog. Mobilitätsstationen. Da kann ein Ausbau allen in der Gemeinde bessere Verbindungen bringen. Für E-Mobilität wird es auch Ladestationen geben. Beim Lkw-Verkehr ist noch nicht klar, wie viel es wirklich wird. Die Unterschiede sind hier je nach Branche groß. Eine Ortsumfahrung Storkwitz wird allerdings konkret in die Planung aufgenommen, sodass hier auch generell eine Entlastung entsteht. 

 

  • Das Beteiligungsverfahren wurde ja verlängert. Warum? 

Toussaint: Normalerweise liegt ein Bebauungsplan 30 Tage öffentlich aus, sodass jeder sich in Ruhe mit den Unterlagen vertraut machen und seine Anregungen, Kritik und Fragen äußern kann. In diesem Falle ist es viel Papier, oder Online-Dokumente, sodass wir die Frist auf 47 Tage verlängert haben. So haben alle genügend Zeit, um sich mit dem Bebauungsplan auseinanderzusetzen und sich eine Meinung zu bilden.  

 

Vielen Dank, Herr Toussaint. 



Hier nachzulesen in der 8. Ausgabe des Gemeindebotens vom 19.08.2023.

Bleiben Sie mit uns im Dialog
und immer aktuell!